
Familien stehen momentan vor großen Herausforderungen. Selbst wenn Schulen und Kindergärten geöffnet sind, kann sich der Familienalltag durch die Pandemie jetzt und auch in Zukunft immer wieder plötzlich verändern. Für einige ist durch die Arbeit im Homeoffice oder weil ein Angehöriger der Risikogruppe im Haushalt lebt, die Ausnahmesituation zudem längst die neue (wenn auch vorübergehende) Normalität. Das birgt Herausforderungen und Chancen.
Daher möchten wir hier die Erfahrungen und Ideen zum Familienleben aus dem Lockdown im März 2020 weiterhin vorstellen. Vielleicht kann die eine oder andere Familie davon profitieren:
Ich bin Mutter von vier Kindern im Alter von 3, 8, 13 und 17 Jahren. Mein Mann arbeitet ganztags und ich in Teilzeit, beide momentan hauptsächlich von zu Hause aus. In den letzten Wochen haben wir deswegen viel herumprobiert und inzwischen eine Tages- und Wochenstruktur gefunden, die für uns alle gut funktioniert. Das vermindert Stress und Konflikte, verlangt aber auch ein bisschen Selbstdisziplin.
Natürlich muss jede Familie den eigenen Weg in eine neue Normalität finden und wir schaffen ganz sicher nicht alles perfekt; hier sind aber ein paar Ideen und Grundsätze, die uns bisher geholfen:
1. Struktur schaffen:
Bis mittags im Schlafanzug bleiben, Schulaufgaben auch mal abends erledigen und keinen Unterschied zwischen Wochentagen und Wochenende machen, klingt zunächst nach Freiheit und Spaß. Dieses Gefühl hält aber nicht lange. Die fehlende Struktur schafft Unsicherheiten, macht unzufrieden und evtl. auch Stress, wenn die Schulaufgaben nicht rechtzeitig gelöst werden. Wir haben uns deswegen einen Stundenplan erstellt, der so aussieht:
Montag bis Freitag startet für die Großen um 8.30 Uhr angezogen die Schule im Wohnzimmer und ich hänge einen Zettel mit kleinen Haushaltsaufgaben in die Küche. Sind die Hausaufgaben erledigt, dürfen die Kleinen Kindernachrichten gucken. Gegen 13.30 Uhr gibt es Mittagessen und anschließend gehen wir eine Runde spazieren. Abends gegen 17.30 Uhr machen wir Sport und essen zu Abend. Samstags fällt die Schule weg. Sonntags gibt es gar keine festen Termine und viel Zeit zum Rumgammeln und für einen Ausflug.
Weil ich anfangs anstrengend fand, dass ich immer dafür sorgen musste, dass dieser Stundenplan auch eingehalten wurde, haben wir dafür inzwischen Zuständigkeiten verteilt: Die Große passt auf, dass um 8.30 Uhr alle angezogen mit den Schularbeiten beginnen. Der 8-Jährige ist dafür zuständig, dass wir den Spaziergang nicht vergessen usw.
Als es noch nicht so viele und verbindliche Schulaufgaben gab, haben alle Kinder (auch der Kleine) wöchentlich kleine Präsentationen (je nach Alter als Power-Point-Präsentation, Puppenspiel oder anhand einer kleinen Mindmap) zu einem von ihnen frei gewählten Thema gehalten. Jetzt sind solche Präsentationen komplett freiwillig, damit neben den Schulaufgaben kein unnötiger Zeitdruck entsteht. Auch grundsätzlich passen wir unseren Stundenplan gemeinsam an, wenn Änderungswünsche bestehen. Es gilt aber: Wir einigen uns gemeinsam auf einen Stundenplan. An den müssen sich dann alle (auch die Erwachsenen) halten. Zwar brechen wir manchmal eine halbe Stunde zu spät zu unserem Spaziergang auf, aber wir gehen wirklich jeden Tag los.
2. Haushalt nach Plan
Wenn wir mehr zu Hause sind, fällt auch mehr Haushalt an. Es wird einfach mehr gekocht, gegessen, Dreck und Unordnung gemacht usw. Damit zusätzlich zum Homeoffice und neuen Job als Heim-Lehrerin nicht auch noch der Haushalt komplett an mir hängen bleibt, schreibe ich morgens jedem Kind eine kleine Aufgabe auf einen Zettel, der neben unserem Stundenplan aufgehängt wird. Die Aufgabe muss jeweils bis um 17 Uhr erledigt sein. Auch der Kleinste freut sich über kleine Aufgaben und hilft zum Beispiel beim Kochen, räumt seine Bausteine weg oder hängt nasse Socken auf den Wäscheständer. Die Größeren räumen das Wohnzimmer auf, saugen oder wischen Böden, erledigen den Abwasch… – Ich versuche die Aufgaben altersgerecht und abwechslungsreich zu verteilen. Nach ein paar Tagen Meckerei hat sich diese Regel so gut eingespielt, dass ich inzwischen meist kaum ein Wort darüber verlieren muss.
3. Klare Absprachen für Bildschirmnutzung gemeinsam treffen
Wir hatten schon vor der Selbstisolierung feste Bildschirm-Regeln, die wir gemeinsam mit den Kindern erarbeitet und regelmäßig angepasst haben. Mit der veränderten Situation ist der Bildschirm aber deutlich verlockender geworden. Deswegen haben wir hier nachgebessert:
Digitale Schultätigkeiten sind prinzipiell in Ordnung und werden nicht beschränkt. Die Kleinen dürfen Kindernachrichten und ein, zwei Folgen einer Kinderserie schauen, während ich koche. (Sonst war es immer sehr stressig, gleichzeitig dafür zu sorgen, dass nichts anbrennt und die Kinder nicht den Homeoffice-Papa in einer Video-Konferenz nerven.) Zu anderen Zeiten wird aber überhaupt nicht darüber diskutiert, ob der Fernseher angemacht werden darf. Das wissen auch die Kinder und es gibt keinen Streit mehr. Bei den Großen setzen wir auf mehr Eigenständigkeit. Für Computerspiele gibt es aber auch weiterhin einen täglichen Rahmen, der eingehalten werden muss.
4. Rausgehen, Sport machen, Neues sehen
Auch wenn vieles im Moment nicht erlaubt ist (enger Kontakt mit Freunden, viele Hobbies,…), darf man rausgehen. Das ist nicht nur wichtig, damit Kinder nicht zappelig werden. Frische Luft stärkt das Immunsystem und gerade für kleine Kinder ist es wichtig zu sehen, dass das Leben auch draußen weitergeht. Wir genießen gerade sehr, dass unser Weg in die Natur nicht weit ist. Im Wald lässt sich die Corona-bedingte Sondersituation oft vergessen, unbeschwert spielen und viel Neues entdecken. Gerade kleine Kinder brauchen fremde Anregungen, um sich gut zu entwickeln. Das Gefühl, eingesperrt zu sein lässt sich entschärfen, wenn man sich vielleicht sogar mal ins Auto oder aufs Fahrrad setzt und an einen Ort fährt, den man nicht jede Woche sieht – und der nicht viele Besucher anzieht. Das muss ja gar nicht weit sein. Es reichen schon 10 Minuten Autofahrt oder eine viertel Stunde auf dem Fahrrad und man sieht mal etwas Anderes. Wir haben uns vorgenommen, jedes Wochenende einen solchen Ausflug zu machen. Das trennt Wochentage von Wochenenden, strukturiert damit auch die Zeit und schafft ein schönes Erlebnis, das in Erinnerung bleibt.
5. Informiert bleiben
Die momentane Situation verunsichert Kinder genauso wie Erwachsene. Oft können Kinder ihre Sorgen und Ängste aber selbst nicht begreifen oder in Worte fassen. Deswegen ist es wichtig, dass sie über die Pandemie und ihre Folgen kindgerecht informiert werden. Das schafft Anknüpfungspunkte, um mit ihnen zu sprechen und mindert das Gefühl der Hilflosigkeit.
Unsere (kleineren) Kinder schauen deswegen jeden Tag ‚Logo‘ – Die Kindernachrichten des KiKas. Zusätzlich gibt es viele Angebote im Internet, die in Videos oder Texten Kinder erklären, wie und warum der neue Virus unser Leben so verändert. Wichtig ist aber auch im Alltag, immer wieder neue Regeln und Verhaltensweisen zu erklären und zu begründen. Sobald Kinder Regeln verstehen, können sie sich leichter mit ihnen abfinden.
Der Beltz-Verlag bietet zum Beispiel ein Sachbuch zum Corona-Virus, illustriert vom Grüffelo-Zeichner Axel Scheffler, für Kinder ab 5 Jahren zum kostenlosen Download an. (Man muss sich allerdings registrieren): https://www.beltz.de/kinder_jugendbuch/produkte/produkt_produktdetails/44094-coronavirus.html
Nett ist auch das Corona-Erklär-Video der Stadt Wien: https://www.youtube.com/watch?v=_kU4oCmRFTw
6. Sicherheit geben, aber Streit zulassen
Gerade für Kinder sind ihre Eltern jetzt in der Regel der (einzige) seelische Anker. Ich finde es deswegen wichtig, möglichst selten genervt zu sein oder Bedürfnisse beiseite zu schieben. Das ist zwischen beruflicher Deadline und sich stapelndem Abwasch nicht immer leicht, aber wichtig. Sonst gerät man schnell in den Teufelskreis, dass die Kinder sich zurückgewiesen fühlen, unzufrieden und anhänglich werden und man selbst immer genervter wird. Deswegen arbeite ich so viel wie nötig eben abends nach, wenn die jüngeren Kinder schlafen und spiele am Nachmittag lieber noch eine Runde „Tempo, kleine Schnecke“. Wir versuchen so gut es geht eine fröhliche und unbelastete Stimmung zu erhalten.
Trotzdem müssen natürlich auch Konflikte geklärt werden. Wer Streit zu lange herunterschluckt, macht das Problem nur immer größer. Wichtig finde ich dabei zu unterscheiden: Streiten wir uns gerade, weil wir grundsätzlich unzufrieden oder genervt sind, oder gibt es tatsächlich ein Problem, das man lösen kann. Wenn nur die Stimmung schlecht ist, hilft es, sich einfach aus dem Weg zu gehen, bis sich alle beruhigt haben. Wenn es tatsächlich ein Problem gibt, müssen sich alle Beteiligten zusammensetzen und die Sache klären – idealerweise, indem man das eigene Problem schildert und nicht den anderen beschuldigt oder gar beleidigt.
7. Zwischen „gemeinsam“ und „allein“ wechseln
Weil jetzt fast immer alle gleichzeitig zu Hause sind, machen wir auch viel gemeinsam: Wir essen alle Mahlzeiten zusammen, gehen gemeinsam spazieren, machen gemeinsam Sport usw. Trotzdem muss jeder auch Raum für sich haben, sonst nerven wir uns gegenseitig. Auch dafür ist unser Stundenplan super: Es ist klar geregelt, in welchen Zeiten sich die Kinder in ihre Zimmer zurückziehen können und dürfen. Geschlossene Türen werden dann grundsätzlich akzeptiert.
Für das Homeoffice ist der Schreitisch meines Mannes vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer gezogen. Jetzt ist es dort zwar sehr eng, aber er kann die Tür abschließen, wenn er in Videokonferenzen sitzt oder sich aus einem anderen Grund konzentrieren muss. Für uns als Eltern haben wir einen abendlichen Spaziergang nach dem Abendbrot als Ritual eingeführt, um Zeit für uns zu haben und auch, um zu überlegen, was gut läuft und was wir ändern müssen. Die Großen passen in diesen 15 Minuten auf die Kleinen auf. Bisher klappt das prima.

Haben Sie Ideen und Tricks, die den Familienalltag erleichtern? Wie geht es Ihnen? Wie sieht ihr Leben als Familie zurzeit aus? Schreiben Sie gern an emaus@kinderschutzbund-springe.de